Die Umsiedlung ins Deutsche Reich und in die besetzten Gebiete Polens1)
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Ursachen für die Umsiedlung - Überblick  Deutsch-Sowjetischer Nichtangriffsvertrag

Ursachen für die Umsiedlung ins Deutsche Reich und ins besetzte Polen - Überblick

Die Gründe für die Umsiedlung der deutschstämmigen Bevölkerung  Bessarabiens zuerst ins Deutsche Reich und dann ins besetzte Polen lassen sich einmal im Kontext des sich im Vorfeld des Zweiten Weltkriegs bildenden Allianzsystems (Stichpunkt: Hitler-Stalin-Pakt) finden und zum Zweiten in den pangermanischeBild: Auffanglager GalatzBild: Zwischenlager SemlinBild: Donauschiff mit UmsiedlernGrafik: Umsiedlungslager mit Umsiedlern aus KlöstitzGrafik: Ansiedlungsorte der Klöstitzer im besetzten PolenBild: Zwischenlager PrahowoBild: Umsiedlertreck am Pruthn Besiedlungsambitionen Nazi-Deutschlands, dessen Aufgabe lt. des "Reichskommissars für die Festigung des deutschen Volkstums" und somit Verantwortlichen für die „Germanisierung" der eroberten Gebiete im Osten, Heinrich Himmler, es war, "den Osten nicht im alten Sinne zu germanisieren, daß heißt den dort wohnenden Menschen deutsche Sprache und deutsche Gesetze beizubringen, sondern dafür zu sorgen, daß im Osten nur Menschen wirklich deutschen, germanischen Blutes wohnen."

Zudem muß man Drittens danach fragen, in welcher sozio-ökonomischen Situation sich die große Mehrheit der Bessarabiendeutschen damals befand. Was sie - neben den politischen Umwälzungen - veranlaßte, geschlossen, nach 125 Jahren in Bessarabien - also rund fünf Generationen -, ihren dortigen Besitz für eine unsichere Zukunft so leichtfertig aufzugeben, denn lt. der "Vereinbarung über die Umsiedlung der deutschstämmigen Bevölkerung" waren sie frei, sich für ein Bleiben oder für die Umsiedlung zu entscheiden. Welche Versprechungen wurden ihnen gemacht?  Welche Befürchtungen hatten sie? War es die Angst vor einer möglichen Kollektivierung ihres Besitzes und vor Vertreibungen nach dem Einmarsch sowjetischer Truppen? Oder haben sie mehrheitlich ihre Lebensweise in Bessarabien unter den Bedingungen von De-facto-Realteilung, einer extensiven Landwirtschaft mit rückschrittlichen Anbaumethoden, geringer Produktivität und begrenzten zusätzlich nutzbaren Flächen bzw. ausreichenden Alternativen in Handwerk und Industrie sowieso als perspektivlos angesehen?

Diese drei Ursachenkomplexe für die Emigration und den späteren Ablauf der Ansiedlung im besetzten Polen - Hitler-Stalin-Pakt, pangermanische Besiedlungsambitionen Nazi-Deutschlands, Angst vor Zwangskollektivierung/Vertreibung bzw. allgemeine Perspektivlosigkeit für die Mehrheit - werden unter diesem Menüpunkt in Zukunft weiter ausgearbeitet.

 

Die Bedeutung des Deutsch-Sowjetischen Nichtangriffsvertrags  für die deutschstämmigen Bewohner Bessarabiens

Die Umsiedlung der Bessarabiendeutschen "heim ins Reich" war letztlich ein Ergebnis des Deutsch-Sowjetischen-Nichtangriffsvertrags  (Hitler-Stalin-Pakt) vom 23. August 1939.  In einem geheimen Zusatzabkommen dazu, auf das im Dokument nicht verwiesen wird, werden die jeweiligen Interessenssphären in Osteuropa zwischen Ostsee und dem Schwarzen Meer abgegrenzt. Neben den expliziten Regelungen für Polen, Finnland und das Baltikum wurde Südosteuropa nur in unverbindlicherer Weise behandelt: Von sowjetischer Seite wird in diesem Rahmen allerdings "das Interesse an Bessarabien" betont. Von deutscher Seite wird das völlige "Desinteressement an diesen Gebieten erklärt."2) Die Umsiedlung von sogenannten "Volksdeutschen" - und damit auch der Bessarabiendeutschen - aus den der Sowjetunion eingeräumten Interessenssphären war zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses von keiner Seite geplant noch vorhersehbar, sie ergab sich erst aus der Entwicklung der politisch-militärischen Lage knapp ein Jahr nach Beginn des Krieges durch das Deutsche Reich. De facto handelte es sich bei diesem Vertrag in erster Linie um ein Bündnis zur Aufteilung Polens.

Mitte 1939 war angesichts der aggressiven Expansionspolitik Nazi-Deutschlands bereits seit längerem klar abzusehen, daß das Deutsche Reich unter Hitler zum zweiten Mal versuchen würde, seine Weltmachtambitionen zu verwirklichen, und daß es deshalb in absehbarer Zukunft zu einer Konfrontation auf dem europäischen Kontinent kommen würde, insbesondere zwischen dem Deutschen Reich und der Sowjetunion und/oder dem Deutschen Reich und Frankreich/Großbritannien. Hitler hatte seinen Generälen bereits die Vorbereitungen für den "Fall Weiß" - der Einmarsch auf Polen - befohlen und als Zeitpunkt Ende August festgelegt - was Stalin bekannt war.

Bereits seit 1934/35 Befürworter einer Allianz mit dem Westen, aber konfrontiert mit der französischen und britischen Appeasementpolitik gegenüber Hitler  (Stichwort: Deutsche Remilitarisierung, Spanien, Münchener Abkommen u.a.), sah Stalin sich nach ergebnislosen englisch-französisch-sowjetischen Verhandlungen über die Gründung eines Dreimächtepaktes, den er favorisierte, ab Mitte 1939 schließlich angesichts der britisch-französischen Hinhaltetaktik immer mehr gezwungen, eine Allianz mit dem Deutschen Reich einzugehen und schließlich den auf deutsche Initiative zustandegekommenen Deutsch-Sowjetischen-Nichtangriffsvertrag abzuschließen. Um Stalin zu bewegen, auf den deutschen "Coup" einzugehen, wurden ihm seitens Ribbentrops Finnland, das Baltikum und Bessarabien als "Beute" zugeworfen. Das war mehr als er erwartet hatte und bot ihm die Möglichkeit, die nach dem 1. Weltkrieg verlorengegangenen Gebiete des imperialen Russlands wieder zurückzugewinnen. Trotz des Angebots war er sich über die rein taktischen Absichten Hitlers im klaren: Das nazionalsozialistische Deutschland blieb der potentielle Hauptfeind.

Der Sinn der britisch-französischen Hinhaltetaktik selbst am 15. September noch lag für Stalin darin, die deutsche Aggression in den Osten zu lenken. Als Ergebnis der gleichzeitig stattfindenden deutsch-englischen Verhandlungen mußte er zudem mit einem zweiten München rechnen, d.h. eine Übereignung des polnischen Staatsgebiets an Hitler durch die Appeasementpolitik  Englands und Frankreichs und damit deutsche Truppen an der Grenze zur Sowjetunion. Er fürchtete, letztlich Hitler allein gegenüberzustehen und hoffte, mit dem Nichtangriffsvertrag die Sowjetunion aus einem Krieg auf dem europäischen Kontinent heraushalten zu können, während Deutschland und Frankreich/Großbritannien sich gegenseitig schwächten. Zumindest hoffte er, sich Zeit kaufen zu können. Stalins Sorge war nicht unbegründet, denn viele konservative Politiker im Lager der "Appeaser" hielten damals einen Krieg allein Deutschlands gegen die Sowjetunion für die bestmögliche Variante: So konnten beide Gegner geschwächt, womöglich gar zerstört werden, und mit einem Untergang des Bolschewismus durch ein geschwächtes Deutsches Reich wäre den Interessen der konservativen Eliten insbesondre Großbritanniens am besten gedient.

Auch wenn es Stalin beim Eingehen auf den geheimen Teil des Vertrags primär nicht darum ging, einen großen Teil der westlichen Gebiete der Sowjetunion, die seit der Revolution verloren waren, wieder zurückzugewinnen - er mußte von Hitler später bei der Besetzung Polens wegen seiner anfangs zögerlichen Haltung mehr als zwei Wochen bedrängt werden, seinen Teil der Beute zu schlucken -, so sah er diesen Ländergewinn jedoch als strategisches Vorfeld bei einer möglichen späteren Konfrontation mit Deutschland an. Bessarabien jedoch, das sich während der Oktoberrevolution für unabhängig erklärt hatte und dann von Rumänien annektiert wurde, war eine Ausnahme. Die Sowjetunion hatte den Verlust nie akzeptiert und der Hitler-Stalin-Pakt gab ihr nun die Möglichkeit, den Landstrich zwischen Dnjestr und Pruth wieder zu besetzen. Der Pakt mit dem Aggressor und das Stehen dazu bis sich die Aggression gegen die Sowjetunion selbst richtete, sollte sich für Stalin lohnen: Er gewann eineinhalb Jahre Zeit, ein strategisches Vorfeld und konnte sich und die Sowjetunion als moralischen Sieger gegenüber der Aggression Nazi-Deutschlands präsentieren.

Hitlers Interesse an diesem Vertrag bestand darin, bei seinem beabsichtigten Angriff auf Polen - das mit Frankreich und Großbritannien in Bündnisbeziehungen stand - die Sowjetunion als möglichen zusätzlichen Verbündeten zu neutralisieren und so zu diesem Zeitpunkt einen Zweifrontenkrieg zu vermeiden. Dies war ihm weitgehende taktische Zugeständnisse an die Sowjetunion wert. Im internen Kreis ließ er jedoch keinen Zweifel daran, daß er sich nach "Abrechnung" mit dem Westen der Sowjetunion zuwenden würde.

Gut einen Monat nach Abschluß des Hitler-Stalin-Paktes schließen das Deutsche Reich und die Sowjetunion am 28.9.1939 den "Deutsch Sowjetischen Grenz und Freundschaftsvertrag" ab. Dieser Vertrag regelt - nun nach der Besetzung Polens - vor allem noch offene Fragen über den Grenzverlauf. In einem Vertraulichen Protokoll  zu diesem Vertrag wird seitens der Sowjetunion den Reichsangehörigen und "anderen Personen deutscher Abstammung" - wenn sie dies wünschen - das Recht zur Übersiedlung nach Deutschland oder in die deutschen Interessensgebiete gewährt - dies betrifft potentiell auch die Bessarabiendeutschen.

Stalin hatte bei Abschluß der beiden Verträge mit dem Deutschen Reich die mögliche Annexion Bessarabiens von weiteren außenpolitischen Entwicklungen abhängig gemacht, die die Sowjetunion zum Eingreifen nötigen würde. Diese traten in der zweiten Maihälfte 1940 ein, als der Widerstand gegen die Armeen Hitlers im Westen brach und sich Hitlers Blick wieder nach Osten zu richten begann: Nach dem schnellen Sieg im Westen gab es Überlegungen, die Sowjetunion bereits Mitte 1940 anzugreifen. Stalin reagierte darauf mit einem präventiven Gegenzug und annektierte in einer eiligen und überstürzten Aktion die Baltischen Länder und auch Bessarabien: Am 23.6.1940, knapp drei Monate nachdem er in einer Rede vor dem Obersten Sowjet erklärt hatte, daß die Sowjetunion "niemals die Frage aufgeworfen hat, Bessarabien auf dem Weg des Kriegs zurückzuerhalten"3), unterrichtete der damalige Außenminister der UDSSR, Molotow, den deutschen Botschafter Schulenburg von der bevorstehenden Besetzung Bessarabiens durch die Armee der UDSSR. Fünf Tage später am 28.6.1940 und zwei Tage nach einem Ultimatum an Rumänien marschierte die Rote Armee in Bessarabien ein.

Hitlers Politik gegenüber den sogenannten "Volksdeutschen" hatte i.d.R. zum Ziel, sie in ihren Gebieten zu belassen, ihre Loyalität zu gewinnen und sie für die taktischen und strategischen Bedürfnisse der deutschen Diplomatie nutzbar zu machen. Die Bessarabiendeutschen sollten eine der Ausnahmen von dieser Politik sein. Aus Sorge, die "Volksdeutschen" in Bessarabien könnten zu einem ungünstigen Zeitpunkt Probleme in den deutsch-sowjetischen Beziehungen verursachen, drückte Ribbentrop am 25. Juni gegenüber der Sowjetunion den Wunsch aus, die deutschstämmigen Bewohner Bessarabiens umzusiedeln. Einen Tag später stimmte Molotow der Bitte zu. Damit war die Übersiedlung der Bessarabiendeutschen besiegelt. Sie gehörten nun nicht mehr zur Verfügungsmasse der deutschen Diplomatie sondern stellten für Himmler "rassisch einwandfreies Menschenmaterial" für dDokument: Aufruf zur Umsiedlungie Besiedlung des von der Wehrmacht und der SS in Polen "freigeräumten Lebensraumes" dar. Im Juli wurde eine Verhandlungsdelegation nach Moskau entsandt, die den ganzen August lang in schwierigen Verhandlungen mit der sowjetischen Seite die Umsiedlungsmodalitäten für die deutschstämmigen Bewohner Bessarabiens und der Bukowina verhandelte.

Am 5.9.1940 wurde dann schließlich in Moskau zwischen den Bevollmächtigten der Deutschen Reichsregierung und der Sowjetunion eine Vereinbarung über die Umsiedlung der deutschstämmigen Bevölkerung beschlossen. Dies betraf 93.000 Nachkommen der vor rund 125 Jahren nach Bessarabien emigrierten deutschen Einwanderer. Wer wollte, konnte zurück in die Heimat der Vorfahren - jetzt das Deutsche Reich -  ziehen. Die Erfahrungen von knapp drei Monaten Sowjetherrschaft in Bessarabien war der Hauptgrund, weshalb fast alle diesem Angebot folgten.

 

1) Dieses Themengebiet wird unter Berücksichtigung Klöstitz-spezifischer Gesichtspunkte dann wahrscheinlich noch um folgende Punkte ergänzt werden: Pangermanische Besiedlungsambitionen Nazi-Deutschlands; Bessarabien zwischen 1933 bis zur Umsiedlung; Politische und sozio-ökonomische Perspektivlosigkeit in Bessarabien; Organisation und Ablauf der Umsiedlung; Ansiedlung im besetzten Polen; Flucht in den Westen; Lebensumstände in den ersten Nachkriegsjahren; Schicksal Bessarabiens nach dem Abzug der deutschstämmigen Bevölkerung.

2) ADAP, D, Bd. VII, Nr. 229, S. 206 - 207

3) ADAP, D, Bd. X, Nr. 4, S. 3, Fußnote 3